Das Sanskrit Wort Śūnyatā wird häufig mit Leere oder Leerheit übersetzt und beschreibt eine zentrale Lehre des Buddhismus. Im folgenden Blogartikel möchte ich das Konzept der Leerheit so einfach wie möglich erklären und beschreiben, wie wir es im Alltag anwenden können.

Leerheit in der buddhistischen Psychologie

Buddha würde sagen, dass all unsere Unzufriedenheiten und unsere störenden negativen Emotionen ihren Ursprung darin haben, dass wir die Realität der Welt falsch wahrnehmen. Und was meint Buddha genau mit der “Realität” der Welt und der Dinge? Buddha meint, dass alle Dinge leer von einer inhärenten Existenz sind. Diesen mysteriösen Satz müssen wir verstehen, um fortzufahren.

Lassen Sie uns den Satz einmal anders formulieren, damit er vielleicht verständlicher wird. Wenn Buddha meint, dass alle Phänomene dieser Welt, einschließlich materielle Objekte, Ideen, Gefühle etc. nicht von sich selbst aus und unabhängig von anderen Phänomenen existieren.

Die Blume ohne den Beobachter

Betrachten wir ein Beispiel. Sie werden vielleicht feststellen, dass ein solches Beispiel auch schon recht anspruchsvoll für unseren Verstand ist, denn die meisten von uns sind es nicht gewohnt, auf diese Art zu denken.
Stellen Sie sich eine Blume vor. Die Blume, die in Ihrem Geist entsteht, hat sicher eine bestimmte Form, Farbe und Größe. Möglicherweise können Sie sich sogar den Geruch vorstellen und vielleicht kommt Ihnen gerade diese Art Blume in den Sinn, weil es Sie an etwas erinnert.

Nun stellen Sie sich vor, dass diese Blume tatsächlich existiert, aber dass es keinen Beobachter gibt. An dieser Stelle wird es ein wenig kompliziert. Wir glauben normalerweise, dass die Blume auf unserem Balkon weiterhin existiert, auch wenn wir uns nachts schlafen legen und nicht mehr an sie denken. Aber die Frage ist: Wie existiert diese Blume in Wirklichkeit? Riecht sie noch immer so angenehm? Hat sie wirklich diese Form und diese Farbe? Welche der Eigenschaften der Blume gehören wirklich zu ihr und welche Eigenschaften werden ihr von unserem Verstand gegeben?

Versuchen wir es nochmal anders: Wenn Sie die Blume auf Ihrem Balkon betrachten, sehen Sie deren Form und Farbe, nehmen deren Geruch wahr und denken vielleicht “Geranien sind meine Lieblingsblumen” und fühlen ein angenehmes Gefühl etc. Nun stellen Sie sich einmal vor, dass Ihre Nachbarin vorbei kommt. Sieht Sie die Blume auf genau die gleiche Art und Weise?
Hat sie genau die gleichen Wahrnehmungen, Gefühle und Empfindungen? Was ist wenn eine Biene angeflogen kommt und die Blume betrachtet? Sieht die Biene die Blume auf genau die gleiche Art und Weise wie Sie? Oder denkt die Biene nur an den süßen Nektar, der ihr Nahrung bietet? Und welche Sicht auf die Blume ist nun die richtige? Und wo entsteht die jeweilige Sicht auf die Blume? Ist es nicht immer im Auge des Betrachters? Was ist also, wenn der Betrachter nicht mehr da ist? Gehört irgendeine von den Eigenschaften der Blume tatsächlich zur Blume selbst oder ist es nur eine Illusion Ihres Geistes?

Leerheit ist eine recht komplizierte Lehre der buddhistischen Psychologie. Und die Fragen, die wir stellen sind auch kompliziert. Buddha gibt uns keine wirkliche Antwort auf diese Fragen. Er gibt uns schlichtweg zu verstehen, dass die Dinge, die wir beobachten, sehen, hören und erleben, nichts mit der Realität der Dinge zu tun haben. Er argumentiert vielmehr, dass wir immer und überall ein Opfer unseres Verstandes sind, der die Dinge auf oberflächliche Art und Weise wahrnimmt, die Realität der Dinge nicht erkennt, seine eigene Wahrnehmung fälschlicherweise für die Realität hält.

Psychologische Anwendung

Es ist wichtig, dass Sie das Beispiel der Blume verstehen, um das Konzept der Leerheit auf andere Phänomene zu übertragen. Sobald wir verstehen, dass es viele Eigenschaften der Blume gibt, die nicht zu ihr selbst gehören, sondern vielmehr eine Illusion unseres Geistes sind, beginnen wir zu verstehen, dass unsere gesamte Welt von unserem Verstand produziert wird. Das ist die “Realität” in der buddhistischen Psychologie. Nichts ist so, wie wir es wahrnehmen. In jeder Sekunde unseres Lebens werden wir mit einer Vielzahl von Objekten, Geräuschen, Ereignissen etc. konfrontiert und wir geben einem jeden eine bestimmte Bedeutung. Diese Bedeutung beeinflusst unsere Gedanken, Gefühle und unser Verhalten. Zum Beispiel werden wir auf der Straße angerempelt und wir denken: “Diese Person ist sehr unhöflich.” Wir fühlen Ärger und glauben, dass unser Ärger auf echten Fakten und unserem korrekten Verständnis der Realität beruht.

Wenn wir diesem Muster folgen bleiben wir laut Buddha ständig im Kreislauf aus falscher Sicht, voreingenommenen Gefühlen und endlosem Leiden. Wir leiden nicht nur, weil wir den Ereignissen unseres Lebens eine falsche Bedeutung geben, sondern wir handeln aufgrund dieser falschen Wahrnehmung und fügen somit auch anderen Menschen Leid zu, indem wir die Person, die uns angerempelt hat zum Beispiel anschreien.

Die Leere des Selbst

Im Buddhismus gilt das Konzept der Leere nicht nur für die äußeren Phänomene wie Objekte und Ereignisse, sondern es umfasst auch die gesamte Wahrnehmung unseres Ichs.
Es ist ganz offensichtlich eines der am schwierigsten zu verstehenden Konzepte des Buddhismus und trotzdem das zentralste Thema. Aber dazu im nächsten Artikel: Das Nicht-Ich in der buddhistischen Psychologie (der Artikel wird in Kürze veröffentlicht).


In Zusammenarbeit mit:

Nadim Mekki Philosopher, Writer, Thinker Nadim Mekki, Schriftsteller, Denker und Stratege. Nadim Mekki spricht sechs Sprachen und reiste zwei Jahre durch Asien, in denen er den Buddhismus und die alten indischen Traditionen studierte. Auf seinem persönlichen Block schreibt er auf Französisch und Englisch über Philosophie, Politik und das Leben: www.nadim-m.com

Gemeinsam haben wir die Buchreihe "Buddha to go" geschrieben.

Ich stelle mich vor

Psychologische Onlineberatung Psychotherapie

Mein Name ist Carolin Müller, ich bin Diplom-Psychologin, Buddhistische Therapeutin und Onlinepsychologin. Mit meinen Klienten spreche ich via VideoAnruf über Depressionen, Sorgen, Ängste und Selbstwertzweifel.

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